Kohlhaas oder Die Verhältnismäßigkeit der Mittel

„Ein freier denkender Mensch bleibt da nicht stehen, wo der Zufall ihn hinstößt“ – Heinrich von Kleist

Es fehlt das Komma, mag man meinen. „frei“ und „denkend“ – das muss sich doch zueinander verhalten, irgendwie, auf verschiedenen Ebenen? Das Komma aber verliert, wo Person und Fiktion zusammenfallen, an Berechtigung.

Kohlhaas oder Die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ führt die Zuschauer in die Aufhebung von Verhältnismäßigkeit selbst. Der Pseudo-Dokumentarfilm zaubert Fiktion in die Fiktion der Fiktion und verweist dabei auf eine fantastische Realität von Realität – nicht das, was ist, ist da, sondern das, was wir uns vorstellen, was wir uns vorstellen lassen, was kein Mittel und kein Maß hat.

Die Vision des Regisseurs Lehmann von einem Ritterepos leidet nur unmaßgeblich und flüchtig darunter, dass gleich am ersten Tag kein Geld mehr da ist. Kostüme, Waffen, Pferde – braucht man alles nicht, kann man sich alles vorstellen und kostet null Cent. Seine Crew allerdings und die Bewohner des Dorfes, in dem der Film gedreht wird, teilen die uneingeschränkte Zuversicht Lehmanns nicht. Sowohl Mittel als auch Manpower unterliegen einem unaufhaltsamen Schwund – man meint des Lebens selbst -, bis am Ende nichts übrigbleibt, als die Werke der Sehnsucht, der Hoffnung und des Wahns. Oder ist es das Denken, das Freie?

Für mich ist der Film von Aron Lehmann kein Kleinod, sondern eine Großtat. Eine ungeheure Vielschichtigkeit, leicht inszeniert, ohne sich aufzudrängen, und die Szenen, zwischen grotesk und tragisch, komisch und ernst, begeistern Kopf, Herz und Leib. Ich habe gebangt, gestaunt, gelacht. Das Schauspiel ist pur, die Darsteller frappierend klar. Eine Zuschauerin sagte, sie sei immer lebendiger geworden. Der Film mag aufgrund eines Zufalls entstanden sein. Aber stehen blieb da niemand. Genial. Bitte mehr!

–> Filminfos auf Cinetixx